Nachdem wir den Bogen in den vorigen Artikeln der Reihe Agile Leadership von grundlegenden agilen Themen in Teil 1 über psychologische Aspekte der Führung in Teil 2 und Selbstführung als Voraussetzung in Teil 3 gespannt haben, landen wir nun bei der Teamführung. Wenn man an Führung denkt, kommt meist zuerst die Aufgabe der Teamführung in den Sinn, die Arbeit mit den Menschen. Für agile Führungskräfte steht dabei im Vordergrund, die Selbstorganisation, Selbstverantwortung und das Selbstvertrauen der Teams zu fördern.
In der Teamführung zeigen sich ganz wesentliche Unterschiede der agilen Führung zur klassischen Führung. Es geht vom Command & Control-Stil zur Führung ohne Befehle. Vom alles bestimmenden Chef zur Begleitung und Unterstützung der Teams. Hilfreich dabei ist, weg von der Betrachtung des einzelnen Menschen zu gehen und auf das gesamte Team als System zu schauen. Natürlich beinhaltet agile Führungsarbeit auch, sich mit Menschen als Individuen auseinanderzusetzen, aber Problemlösungen oder Veränderungsansätze sucht der Agile Leader nicht bei Einzelnen, sondern mit der Systembrille.
Aus dem Team ein Team machen
Zuerst gilt es für die agile Führungskraft, aus den Mitarbeitenden ein echtes Team zu machen. Agile Leadership hat daher den Fokus, Gemeinsames für das Team zu schaffen: Identität, Purpose, Ziele, Strategien. Aufgaben dabei sind: Sicherstellen, dass an der gemeinsamen Identität nicht nur gearbeitet wird, sondern sie auch gespürt wird. Dazu gehört, den Zweck des Teams gemeinsam mit dem Team zu formulieren, z.B. mit der Fragestellung: “Wozu ist unser Team hier?” oder “Was würde dem Unternehmen fehlen, wenn es unser Team nicht mehr gäbe?” Klare gemeinsame Ziele sowie eine gemeinsame Strategie zu erarbeiten und klare Leitplanken für die Zusammenarbeit zu setzen (Achtung: keine Regeln, siehe Artikel 1). Scheuen Sie sich also nicht davor, über Gemeinsames immer und immer wieder mit dem Team zu sprechen. All das sind Kommunikationsaufgaben. Führungsarbeit ist Kommunikationsarbeit, und doch gibt es kaum Unternehmen, in denen zu viel kommuniziert wird.
Als agile Leader sind Sie auch Torwächter und Interessenvertreter des Teams. D.h. Sie sind dafür verantwortlich, die Team-Grenzen und Schnittstellen zu koordinieren. Wie ist das Team mit anderen Teams, Kunden oder Stakeholdern verbunden, wie wird kommuniziert? Wie werden neue Teammitglieder eingebunden (Onboarding), so dass sie schnell ein integraler Teil des Teamsystems werden? Und welche Informationen und Anforderungen werden wie ans Team weitergegeben, dass nicht der volle Druck von oben auf dem Team lastet?
Und schließlich ist die agile Führungskraft für die Team-Balance zwischen sozialem Miteinander und Fokus auf Aufgaben zuständig. Dabei hat sie das soziale Gefüge im Blick und sorgt dafür, dass weder die Leistungserbringung noch die Beziehungen zwischen den Menschen im Team zu kurz kommen.
Die richtigen Dinge richtig tun
Der Erfolg einer agilen Führungskraft kann daran gemessen werden, ob das Team an den richtigen Aufgaben arbeitet, die den bestmöglichen Wert für die Kunden bringen. Kunden sind im Endeffekt immer die Menschen, die Geld für eine Leistung oder ein Produkt zahlen. Bei manchen Teams sind Kunden auch interne Kunden, die mit den Ergebnissen der Teamarbeit weiterarbeiten müssen. Ihre Aufgabe ist es also, die Ausrichtung am Kundenwert sicherzustellen und ablenkende (weil vielleicht attraktivere) Tätigkeiten zu unterbinden. Ein Beispiel: Ein Software-Entwickler würde vielleicht lieber eine Funktion einbauen, die technologisch “fancy” ist, wenn diese Funktion dem Kunden aber keinen Mehrwert bringt, dann müssen Sie als Führungskraft den Fokus lenken.
Essentiell ist: Alle Teammitglieder wissen, warum woran gearbeitet wird - so kann Alignment sichergestellt werden. Die agile Führungskraft ist zuständig dafür, Arbeit transparent zu machen und allen die Möglichkeit geben, zu erfahren, was von wem bearbeitet wird, wie die Ergebnisse aussehen, welche Akzeptanzkriterien die Ergebnisse erfüllen müssen oder welche Ergebnisse erwartet werden. Wahrscheinlich das bekannteste Mittel dafür sind Kanban-Boards. Nur durch diese Transparenz können Probleme identifiziert und gelöst werden, und so sichergestellt werden, dass die Ergebnisse der Teamarbeit möglichst schnell vom Kunden genutzt werden können.
Im komplexen Umfeld weiß man aber manchmal gar nicht, was und wie es richtig ist. Um das herauszufinden, braucht es Experimente und eine gute Lernkultur. Dies erfordert wiederum eine hohe Kompetenz der Teams, sowie den Willen und die Erlaubnis, Experimente durchzuführen. Und sie müssen konstruktiv mit Fehlern umgehen, was Sozialkompetenz verlangt.
Der Fokus auf die Teamkompetenzen kommt aber oft zu kurz. Es werden zwar einzelne Mitarbeiter gefördert und trainiert, aber der Blick aufs ganze Team fehlt. Hierzu können Sie mit folgenden Fragen arbeiten: Welche Kompetenzen braucht mein Team in welchem Ausmaß, um heute und in Zukunft die gewünschten Leistungen erbringen zu können? Und das nicht nur fachlich, sondern auch sozial. Die Kernaufgabe hier ist es, die Leistungsfähigkeit des Teams zu entwickeln oder auf gutem Niveau zu halten. Dafür muss der agile Leader Spielräume für das Team schaffen und überlegen, inwiefern Kompetenzen intern aufgebaut oder outgesourct werden sollen.
Das Team nicht beim Arbeiten stören
Wenn nun aus den Mitarbeitenden ein Team geworden ist, und Sie sichergestellt haben, dass mit den passenden Mitteln und Kompetenzen an den richtigen Dingen gearbeitet wird, dann steht die Förderung der Selbstorganisation an. Voraussetzungen, die Sie als Führungskraft dafür schaffen müssen, sind u.a. effiziente Prozesse und (benutzerfreundliche) Tools, Transparenz über die zu erledigende Arbeit und klare nachhaltige Priorisierung ohne Overruling oder Querschüsse.
Viel zu oft erleben wir Big Room Plannings oder andere Planungsmaßnahmen, die mit großem Aufwand betrieben werden, nur um kurz danach von Vorstands- oder Managemententscheidungen ausgehebelt zu werden, welche die Priorisierung wieder über den Haufen werfen. Natürlich kann es manchmal gute Gründe für eine Re-Priorisierung geben (die sollten aber auch transparent gemacht werden, um nicht den Eindruck von Willkür zu erwecken), oft genug aber resultiert sie aus einem schlecht oder gar nicht abgestimmten Vorgehen der Stakeholder, Geldgeber oder Entscheidungsträger. Passiert so etwas öfter oder gar regelmäßig, wird das Team die Motivation verlieren, Verantwortung zu übernehmen. So schwierig das mitunter in der Umsetzung ist, aber auch hier tragen Sie als agile Führungskraft Verantwortung dafür, dieses Vorgehen den Verursachern zurück zu spiegeln und die Konsequenzen aufzuzeigen.
Zur Förderung der Selbstorganisation gehört auch, nicht die Menschen steuern zu wollen, sondern sie bei der Selbststeuerung zu begleiten und zu moderieren. Z.B. können Sie zusammen mit dem Team Entscheidungsstrukturen hinterfragen im Sinne des Shared Leaderships. Dabei werden Entscheidungskompetenzen, die operative, strategische, organisatorische oder Personalthemen betreffen, mit dem Team besprochen und aufgeteilt. z.B. Entscheidungen, wer wann in Urlaub gehen darf, werden im Team getroffen und zur Information in die Kalender eingetragen. Oder das Gespräch zur Leistungsbeurteilung einzelner Mitarbeitender wird zwar durch Sie als Führungskraft durchgeführt, davor geben aber die anderen Teammitglieder ihr Feedback ab. Oder fachliche Entscheidungen werden zwar durch das Team getroffen, das Team konsultiert Sie aber bei Bedarf. Eine Aufteilung von Entscheidungskompetenzen führt nicht nur zur Entlastung der Führungskraft, sondern auch zu besseren Entscheidungen, weil diese da getroffen werden, wo das Know-how liegt. Und Wartezeiten werden eliminiert, was z.B. daran erkennbar ist, dass in der Visualisierung des Arbeitsflusses der Punkt “Warten auf die Entscheidung” immer weniger vorkommt.
Kontinuierlich besser werden
Wenn Sie, die agile Führungskraft, Ihrem Team zutrauen, gute Leistungen zu erbringen und dafür sorgen, dass das Team ständig dazulernen kann, wird auch das Selbstvertrauen des Teams steigen. Die Teammitglieder lernen, dass ihre eigenen Kompetenzen und Stärken sie für anspruchsvolle oder schwierige Aufgaben und Situationen wappnen.
Zur Förderung der psychologischen Sicherheit im Team, ohne die Teams nicht erfolgreich sein können, kann der agile Leader gezielte Maßnahmen setzen (mehr Details dazu im Artikel zu Agile Leadership - Psychologische Aspekte). Psychologische Sicherheit ist auch Grundlage für ehrliches und offenes Feedback, das die Teammitglieder und die Führungskraft einander geben müssen, um Verbesserungs- und Lernpotenziale zu entdecken. Teammitglieder sollen ermutigt werden, ihrer Führungskraft rückzumelden, wenn sie auf Unstimmigkeiten, Probleme oder Fehler stoßen.
Zur kontinuierlichen Verbesserung gehört weiterhin, Maßnahmen nicht nur zu planen und umzusetzen, sondern auch die Zwischenergebnisse intelligent und aussagekräftig zu messen. So kann das Team frühzeitig erkennen, wenn etwas in die falsche Richtung läuft und entsprechende Anpassungen vornehmen (stoppen, Probleme identifizieren und lösen oder verändern der Rahmenbedingungen). Als agile Leader müssen Sie sicherstellen, dass Aufgaben so aufgesetzt werden, dass eine Messung möglich ist und Erkenntnisse, die für zukünftige Aufgaben relevant sein könnten, zugänglich gemacht werden.
Und schließlich gilt es für agile Führungskräfte, eine Lernkultur zu etablieren, in der alle Teammitglieder motiviert sind, an sich selbst zu arbeiten und ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiterzugeben. Selbstreflexion und Austausch, auch mit Experten aus anderen Teams oder Fachbereichen, sind für die Weiterentwicklung des Teams essentiell. Führung stellt die Mittel dafür zur Verfügung: das eigene Netzwerk, Zeitressourcen und Freiräume sowie eine Priorisierung der Aufgabe “Teamentwicklung”.
Wenn Sie sich für das Thema Agile Leadership begeistern, oder wenn Sie einfach mehr über die in diesem Artikel genannten Aspekte wissen wollen: In unseren Workshops und Spotlight-Trainings behandeln wir diese Themen umfassend und lassen viel Raum zum Üben und Diskutieren. Ich würde mich freuen, Sie dort zu treffen.
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